Glockenturm
Die Marienglocke bildet gemeinsam mit der Vinzentius-Glocke das zweistimmige Geläut der Kirche. Beide Glocken wurden aus Bronze gegossen, kunstvoll verziert und mit bedeutungsvollen Glockensprüchen versehen. Ihre Klangabstimmung im Halbtonintervall f–fis gilt heute als seltene Besonderheit, war jedoch im Mittelalter durchaus verbreitet. Im Laufe der Zeit wurde diese Form der Abstimmung jedoch aufgegeben, und nur wenige Geläute dieser Art sind bis heute erhalten geblieben.
Die beiden Glocken stammen aus den Jahren 1483 und 1484 – den Geburtsjahren von Martin Luther und Ulrich Zwingli. Die kleinere Glocke mit dem Ton fis trägt die Inschrift:
„St. Vincentius, so bin ich genannt, wenn ich rufe, so kommt zur Hand. Johann von Dortmund hat mich gegossen. Jesus, Maria, Johannes. Im Jahre des Herrn 1483.“
Seit ihrer Weihe hat sie ohne Unterbrechung dazu aufgerufen, sich zum Gottesdienst zu versammeln.
Die größere und etwas jüngere Glocke mit dem Ton f trägt folgende Widmung:
„Ich heiße Maria, ich betrauere die Gestorbenen, ich rufe die Lebenden, ich breche die Blitze. Wenn ich rufe, so hört. Ich rufe zu den Freuden des Lebens.“
Diese Glocke hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Im Ersten Weltkrieg wurde sie als „ablieferungspflichtig“ deklariert, jedoch konnte ihr Abtransport durch das baldige Kriegsende verhindert werden. Im Februar 1942 während des Zweiten Weltkriegs drohte erneut ihre Zerstörung: Die Glocke war für Kriegszwecke beschlagnahmt worden und sollte im Turm zerschlagen werden.
Ein Arbeiter stieg bereits mit einem schweren Hammer zur Glocke hinauf. Der damalige Pfarrer Leich bat ihn, mit der Zerstörung noch eine halbe Stunde zu warten. Diese Zeit nutzte er, um über zahlreiche Telefonate und Telegramme – bis hin nach Berlin – die Rettung der Glocke zu erreichen. Tatsächlich wurde die Glocke nicht zerschlagen, sondern vorsichtig abgeseilt. Den Abtransport – gemeinsam mit einer weiteren Schlagglocke – konnte der Pfarrer jedoch nicht verhindern.
Nach dem Krieg, im Jahr 1945, fuhr der verstorbene Pfarrer Lichtentäler aus Bochum-Langendreer zum sogenannten „Glockenfriedhof“ nach Lünen, um die verschollenen Glocken seiner Gemeinde zu suchen. Nach seiner Rückkehr informierte er das Harpener Presbyterium, dass sich dort zwei Glocken mit der Aufschrift „Harpen“ befänden – zwei von insgesamt 22.000 Glocken, die dort lagerten. Die Glocken waren als Reparationsgut beschlagnahmt worden, eine Rückgabe wurde zunächst verweigert.
Der erste Versuch, sie zurückzuholen, scheiterte. Doch die Gemeinde ließ nicht locker. Ein zweiter Versuch wurde schließlich „bei Nacht und Nebel“ unternommen. In Harpen war alles vorbereitet, um die Glocken sofort nach ihrer Ankunft wieder an ihren ursprünglichen Platz im Turm zu bringen. Am Morgen wurde das unerwartete Glockengeläut von der Gemeinde mit Staunen und großer Freude empfangen.
Rechtlich gehörten die Glocken jedoch noch nicht wieder der Kirchengemeinde. Erst im Jahr 1947 wurde sie offiziell erneut Eigentümerin der beiden historischen Glocken.